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Warum ich immer von „Mutig Trauern“ spreche, was es für mich bedeutet und warum wir alle mutig sind – auch in der Trauer.
Ich erinnere mich nicht mehr, wie ich auf Mutig Trauern als Titel einer meiner ersten Workshops für Trauernde gekommen bin. Bis heute heißt mein Workshoptag für Trauernde so.
„Ich fühle mich nicht mutig“
Das sagen mir tatsächlich viele Trauernde. Ich sage dann „Du bist doch hier im Workshop“ oder „Du hast gerade erzählt wie viele Bücher Du schon über Trauer gelesen hast“ oder „Du bist zu mir ins Trauercoaching gekommen“ – all das ist mutiges Trauern:
Sich der Trauer stellen. Nicht den Kopf in den Sand stecken. Wege suchen, wie man einen (guten) Umgang damit findet. Sich Strategien basteln, damit man durch den Tag kommt. Rituale finden für Jahrestage oder schwierige Jahreszeiten.
Was ist denn nun Mut?
Ich las neulich über Mut, googelte und landete wie immer bei Wikipedia: „Mut, auch Wagemut oder Beherztheit, bedeutet, dass man sich traut und fähig ist, etwas zu wagen, das heißt, sich beispielsweise in eine gefahrenhaltige, mit Unsicherheiten verbundene Situation zu begeben.„
Das verbinden wir am ehesten mit Mut. Wer mutig ist, der wagt etwas. Der stürzt sich energisch in eine Sache ohne Rücksicht auf eigene Verluste. Auf den blickt man manchmal auch etwas neidisch und/oder mit Bewunderung.
Aber auf eine Trauernde ist doch niemand neidisch oder bewundert sie…?!
Ich las weiter: „Mut kann aber auch in der Verweigerung einer unzumutbaren (…) Tat bestehen“*
Und es machte Plopp in meinem Kopf. Genau das ist der Mut, von dem ich spreche.
Mut ist auch, was man nicht tut
Mein Ex-Partner sagte ein paar Mal zu mir „Bei Dir ist alles immer erstmal ein Nein“ und ich grinste und war stolz drauf. Er war genervt.
Aus meiner Sicht ist das Wichtigste, das ich in 9 Jahren Gymnasium gelernt habe: kritisches Hinterfragen. Und dass auch nur, weil ich einen Lehrer hatte, der den Lehrplan für bescheuert hielt, nämlich Herrn Fischer in Deutsch. Herr Fischer schaute auf den Lehrplan, dort stand Nietzsche und irgendeine Parabel. Also besorgten wir uns das Reclam-Heftchen, schlugen die 4 Seiten auf, in denen es um die Parabel ging und lasen genau diese 4 Seiten. Parabel gelernt. So blieb mehr Zeit um über zeitgenössische Thematiken der 90er zu sprechen. Herr Fischer hatte mehrere Jahre in Chile gelebt und erzählte auch gerne mal von dort.
Eines Tages fragte er: „Warum legt man Wege an, bspw. rund um neue Gebäude, nach einem Bauplan? Wieso lässt man nicht die Menschen die für sie praktischsten Wege laufen und zementiert dann die?“
Ich habe es geliebt. Das klingt jetzt sehr banal, aber damals war diese Art Fragen zu stellen für mich komplett neu und mega mutig. Ich habe es übernommen und mich herrlich „anarchisch“ gefühlt damit, dass wir nur die 4 Seiten Parabel gelesen haben und mehr nicht. Dass wir uns „geweigert“ haben das komplette Reclam-Heft zu lesen, obwohl es im Lehrplan stand. Dass wir hinterfragt haben „Müssen wir das wirklich so machen oder ginge das auch anders und erfüllt trotzdem den Zweck?“
Es geht mir dabei nicht um’s Nein-Sagen generell, sondern darum zu schauen, wie könnte das leichter, einfacher gehen? Ist der aktuelle Zustand wirklich der beste Weg für uns? Innehalten, hinschauen und gegebenfalls anders machen.
„Mut kann aber auch in der Verweigerung einer unzumutbaren (…) Tat bestehen“*. Was bedeutet das für Trauernde?
Ich würde gerne „unzumutbar“ streichen und „Tat“ durch Verhalten ersetzen.
„Mut kann in der Verweigerung eines Verhaltens bestehen“
Wir erwarten immer noch, dass Trauernde nach (erfahrungsgemäß) 3-6 Monaten wieder fit sind. Wieder die „Alten“, so wie vorher halt. Vollzeit arbeiten. Vollzeit Eltern-Sein. Beste Freundin-Sein. „Kann man ja eh nicht ändern“ und „deswegen ist es aber jetzt auch mal langsam gut mit der Trauer“.
Nach 3-6 Monaten geht das Umfeld zur Tagesordnung über. Die Nachfragen werden weniger. Die Unterstützungsangebote vielleicht auch. „Es muss ja weitergehen“. Wir müssen ja arbeiten, Geld verdienen, für die Kinder da sein und vieles mehr.
Wir stürzen uns „mutig“ und vor allem „stark-bleibend“ in den Alltag. Tun so als wäre alles wieder ok und trauern heimlich abends oder morgens, im Auto auf dem Weg zur Arbeit oder auf der Büro-Toilette, damit bloß keiner was merkt. Erst recht nicht die Kids.
Ja vielleicht. Vielleicht funktioniert das für einige. Für eine gewisse Zeit. Und ja, manchmal ist das auch das einzige, was drin ist. Und es ist nicht falsch. Ich frage mich nur, wie soll Trauer Einzug in den Alltag und die Mitte der Gesellschaft halten, wenn wir weiter so tun als ist nach 3-6 Monaten alles wieder paletti?
Wie soll unser Umfeld verstehen, wie lang, intensiv, tiefgreifend-verändernd Trauer ist/sein kann, wenn wir es ihnen nicht sagen oder zeigen? Wie sollen unsere Kinder lernen zu trauern?
Ich sage mutig trauern ist…
Und ja, das alles braucht Energie. Energie, die viele Trauernde nicht haben. „Revier verteidigen“, was eigentlich mittlerweile überflüssig sein sollte. Da es das aber noch nicht ist, trauern wir mutig weiter. Und ich unterstütze Dich dabei.
Was bedeutet es für Dich mutig zu trauern?
Für alle, die mutig trauern wollen:
Tagesworkshop am 11. Februar 2023
10-16h
VHS Berlin-Schöneberg (Barbarossaplatz)
Anmeldung ↗
*https://de.wikipedia.org/wiki/Mut, Zugriff am 4.1.2023