Im Rahmen meines Themenmonats im April 2019 habe ich Geschichten von Sterneneltern gesammelt und veröffentlicht.
Sterneneltern fühlen sich meistens unsichtbar, weil das Kind eben fehlt und zudem wird das Sternenkind totgeschwiegen, manchmal sogar in der eigenen Familie.

Ich möchte, dass alle Sterneneltern sichtbar werden, dass das Thema Fehlgeburt, Totgeburt oder stille Geburt kein Tabu mehr ist und dass die Sternenkinder nicht in Vergessenheit geraten.

 

Lange mussten wir auf die Ankündigung unseres zweiten Kindes warten. Erst knappe 9 Monate nach dem Verlust unseres ersten Kindes hielten wir Anfang August 2015 wieder einen positiven Schwangerschaftstest in den Händen. Obwohl bereits von Anfang an auch immer ein wenig Angst mit dabei gewesen ist, schaute ich doch positiv in die Zukunft. Wir erreichten die zwölfte Woche. Der errechnete Geburtstermin sollte am 7. April 2016 sein.

Wir verkündeten auf Arbeit die frohe Botschaft und weihten diesmal auch unsere Familie ein. Nun erfuhren Sie auch von unserem Sascha. Beim Ultraschall um die 15./16. Schwangerschaftswoche rum war alles in Ordnung. Fast ließ sich meine Frauenärztin sogar zu einer Vermutung des Geschlechts hinreißen. Wir fuhren gut gelaunt in unsere Heimat und besuchten dort unsere Eltern. Ich redete mit meiner Mama über die Schwangerschaft, wir kauften Babysachen und das Leben war schön. Ich freute mich auf den nächsten Vorsorgetermin bei meiner Ärztin, der am 10.11. stattfinden sollte. Doch dazu sollte es nicht mehr kommen.

Ich wusste bereits in diesem Augenblick, dass unsere Geschichte sich wiederholen sollte

Als ich am Abend des 6. November 2015 zu Bett ging merkte ich leichte Schmierblutungen. Auch wenn es diesmal anders und später als bei meiner vorangegangenen Fehlgeburt war – ich wusste bereits in diesem Augenblick, dass unsere Geschichte sich wiederholen sollte. Meine Mama fuhr mich sofort ins Krankenhaus wo ich am Empfang immer noch mit den Tränen kämpfte und kaum verständlich die Worte „Ich bin in der 19. Woche Schwanger und habe Blutungen“ über die Lippen brachte. Ich hoffte, dass man mich diesmal nicht wieder warten ließ, wie im Dezember letzten Jahres als mein erstes Kind verlor.

Und tatsächlich : Kaum auf der Station angekommen, kümmerte sich sofort ein junger Arzt um uns. Ich lag zitternd auf der Untersuchungsliege und konnte den Blick nicht vom Bildschirm abwenden. Ich hoffte so sehr, mein Kind wohlbehalten und gesund auf dem Monitor zu erkennen, aber schon beim ersten Blick darauf sah ich Henry still und friedlich, ohne einen Herzschlag, ohne eine einzige Bewegung. Als ob er nur schlafen würde. Mir jedoch war sofort klar, dass das schlimmste, was mir passieren konnte, eingetreten war. Der Arzt schallte minutenlang, als ob er nicht glauben könnte, was er dort sah. Tatsächlich fragte er mich dann auch ob ich in den letzten Tagen gestürzt wäre, oder irgendetwas außergewöhnliches passiert wäre. Als ich ihm sagte, dass vor knapp 3 Wochen bei der Vorsorgeunteruschung noch alles ok gewesen wäre, schaute er mich traurig und fassungslos an.

Mein Baby war seit ca. 3 Wochen nicht mehr gewachsen, dass konnte er anhand der Größe feststellen. Mein erster Gedanke war: „Das kann doch nicht sein“, eben weil vor 3 Wochen noch alles ok gewesen ist.

Still und leise war mein Kind gegangen, ohne dass ich es gemerkt hatte

Ich wurde auf die Gynäkologie gebracht. Gott sei Dank bekam ich ein Einzelzimmer am Ende des Ganges. Eine andere Frau – womöglich hochschwanger oder bereits glückliche Mutter, hätte ich jetzt nicht ertragen. Bereits am nächsten Morgen sollte die Einleitung der Geburt stattfinden.

Der erste Morgen ohne mein Baby nahte. Der Himmel war blau und wolkenlos, wie ungerecht, dachte ich noch. Die Oberärztin wollte noch mal mit dem Ultraschall schauen. Tatsächlich gab es manchmal kleine Wunder, wo bei einem zweiten Ultraschall plötzlich wieder ein Herzschlag zu sehen war. Dass dieses Wunder für uns ausbleiben würde, war jedoch von Anfang an klar, da ein fehlender Herzschlag und eine fehlende Entwicklung von 3 Wochen eindeutig waren. Lediglich, dass sich die Plazenta abgelöst hatte, konnte sie feststellen. Ob dies die Ursache für das Sterben oder die Folge davon gewesen ist, konnte man nun allerdings nicht mehr sagen.

Ich bekam wehenfördernde Medikamente und gegen halb 10 platzte schließlich die Fruchtblase. Was die Krankenschwestern zur Kenntnis nahmen und in wenigen Minuten nochmal vorbei schauen wollten. Tatsächlich musste ich dann nochmal auf Toilette, nichts ungewöhnliches bei einer schwangeren Frau, auch wenn ich mich auf dem besten Wege zu einem Dasein als unschwangere Frau befand. Ich dachte mir nichts dabei als ich auf Toilette ging, bis mir plötzlich eine große Menge Fruchtwasser und schließlich auch das Köpfchen entgegen kam. Bis heute weiß ich nicht, wie ich so ruhig bleiben konnte im Angesicht dieser Situation. Mit einer Hand hielt ich vorsichtig das Köpfchen, mit der anderen Hand schlug ich auf den Alarmknopf ein. Solch eine geschockte Krankenschwester werde ich wohl nie wieder zu Gesicht bekommen. Als sie mich fragte, ob ich mein Kind noch halten könnte, sagte ich ruhig und besonnen „Ja“ und dachte bei mir „Das hier ist mein KIND, ich werde es halten und wenn es das letzte ist was ich auf dieser gottverlassenen Welt tue“.
Am 7.11. um 22.05 kam unser zweites Kind still zur Welt.

 

Wenige Wochen später wurde unser Henry mit den anderen Sternenkindern in meiner Heimatstadt beigesetzt

Mir ist es ein gewisser Trost zu wissen, dass er nicht alleine in seinem Erdenbettchen liegt. Ein eigenes Grab für mein Kind konnte ich mir damals und auch heute nicht vorstellen. Auch wenn wir über 400km weit weg wohnen, ist alles genauso wie es sein soll.


Meine Frauenärztin sorgte noch Anfang Dezember dafür, dass ich bei einem Spezialisten für Blutgerinnung vorstellig wurde. Eine frühe und eine späte Fehlgeburt waren ihr Grund genug, nicht noch eine weitere Fehlgeburt anzuwarten.

Gott sei Dank, wie ich heute sagen muss. Mitte Januar erhielt ich die Ergebnisse des Gerinnungsspezialisten: Auf Grund einer vererbbaren Gerinnungsstörung hatte keines unserer zwei Kinder eine Überlebenschance gehabt. Wie wichtig diese Erkenntnis zu genau diesem Zeitpunkt gewesen ist, wird spätestens dann klar, wenn ich Euch erzähle, dass sich Mitte Dezember unser drittes Kind still und heimlich in unser Leben geschlichen hat. Am 10. Januar 2016 testete ich das dritte Mal positiv und fing an Blutverdünner zu nehmen. Die Schwangerschaft war geprägt von Vorfreude auf der einen, aber Unsicherheit und Angst auf der anderen Seite.

Doch diesmal sollten wir am Ende unser größtes Glück in den Armen halten: seit dem 11.09.2016 sind wir Eltern unseres Regenbogenbabys Isabella Gisele.

Unser Schmerz wird durch unsere Tochter nicht weniger, niemand kann unseren Verlust mildern. Aber unsere Tochter ist ein Zeichen dafür, dass es sich lohnt, die Hoffnung nicht aufzugeben.

 

Alle Fotos sind von Mary. Du findest sie hier bei Instagram.
Und hier auf ihrem eigenen Mutter-Regenbogen-Kind-Blog.

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